Inhalt der Website:: La Lupa ist anders. Wenn die in Zürich lebende Tessinerin italienische Lieder oder Gedichte singt, taucht sie in die Ozeane der Gefühle ein - und mit ihr das Publikum. Was heisst singen: La Lupa erleidet die melancholisch-tragischen Texte. Dann trägt ihr Vortrag Brecht'sche Züge. Doch wo echter Witz vor (fast) nichts haltmacht, darf Tragik komisch werden, Frivolität ergreifend.
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SonntagsZeitung, von René Ammann
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La Lupa, Tessiner Sängerin und Zürcher Original, wohnt ihr halbes Leben lang an der Weinbergstrasse im Kreis 6
Schwungvoll wird die Tür aufgerissen. "Willkommen!", sagt Lupa mit weit geöffneten Armen, "ich hatte gehofft, ihr seid zu spät!" Und weg ist sie.
"Guten Tag", sagt Markus Herz, Lupas Ehemann. "Ciccio?! Luegsch, ob öppis fählt?", tönt es aus dem Bad. "Werum schminke? D Lüüt chönnt di doch emaal in natura gsee", rät Markus, ganz und gar nicht Ciccio (Dickerchen). "Lieber nicht!", gibt das Badezimmer zurück. Lupas Kopf lugt um die Ecke. Ein Augendeckel blinkt orange wie eine Kumquat. "Aaaah, diese Musik", sagt der Augendeckel. Napolitanische Lieder streichen den Wänden entlang. "Catariii, tu contenta nun siii", schluchzt der Sänger. "Roberto Murolo", erklärt das Bad, "der Einzige der "O sole mio" nicht kitschig singt." Nun sind beide Augendeckel orange. An der Stirn roter Lippenstift. "Gang mer ewägg! Immer dasselbe. Lippenstift. Überall! Dai, geht schon, setzt euch zu Tisch!"
Der Tisch ächzt unter einer Schiefereinlage; die Stabellen sind geschnitzt ("die sind von einem alten Schreiner vom Walensee"). Für fünf Jahre ihrer Beziehung liessen Lupa und Markus die Jahreszahl in die Lehnen kerben, angefangen beim Hochzeitsjahr. Sieben Stühle tragen eine Jahreszahl. Und der achte? "Der bleibt ohne Zahl", sagt Lupa, "das wäre ein schlechtes Omen." Beide Augendeckel blinken orange-türkis. Längs gestreift. Orange wie Lupas Haar ("echt rot, aber nicht so grell"). Und türkis wie ihre Augen. Und ihr Walla-walla-Kleid, das sie trägt wie eine wohlige Einzimmerwohnung.
Wo hat sich das Paar getroffen? "Am Arbeitsplatz bei einer Bank", sagt Markus. Lupa streicht über sein kurzes Haar. Und sie haben sich auf der Stelle ineinander verliebt? "Ach, wo", sagt Markus, "wir sassen zwei Meter voneinander entfernt und mochten uns überhaupt nicht." Lupa lacht und nickt. "Ich fand ihn blöd und er mich auch."
La Lupa, bürgerlich Frau Marconi, kam als 20-Jährige nach Zürich. Eine Tessinerin, aufgewachsen im Onsernonetal. "Ich wollte weg, wie alle Jungen. Nach Italien zog es mich nicht, das ist sehr klassenbewusst", sagt Lupa. "Als mich der Bankdirektor in Zürich im Gang gegrüsst hat, dachte ich, oh, was für ein demokratisches Volk! Ich mochte Zürich auf Anhieb." - "Zu Beginn sprach sie kaum Deutsch. Wir unterhielten uns auf Französisch", sagt Markus.
Auf die Frage, wie Lupa denn ausgesehen habe damals, zieht Markus Herz sein Portemonnaie hervor und zeigt die Hochzeitsbilder. Über 30 Jahre lang am Leib getragene Fotos. Lupa mit langem rotem Haar und weissem Hosenanzug. Markus mit langem braunem Haar, farbigem Halstuch und dunklem Anzug. Und der Pfarrer drückt sich etwas unsicher an die Säule. Haben sie rasch geheiratet? "Nach zwei Jahren", sagt Markus. "Nein. Nach einem Jahr und neun Monaten." - "Meine Mutter befürchtete, die Glocken würden nicht läuten, weil wir keine Eheringe hatten", sagt Lupa. "Für jeden Menschen müssen ja im Leben dreimal die Glocken läuten. Einmal bei der Taufe, einmal bei der Hochzeit und zum letzten mal an der Abdankung." Und? Haben sie geläutet? "Aber ja, doch!"
Lupa singt noch heute jedes Jahr vor der Kirche im Onsernonetal ihre Lieder. Und vom Zürcher Grossmünster herab hebt sie in der Karwoche am Montag, Dienstag und Mittwoch die Stimme, dass man sie sogar am Central vorne hört. Bei gutem Wind jedenfalls. Wenn sie die Stufen auf die Münsterterrasse hochsteige, sage Jürg Grau, der Jazzer und Zürcher Stadtplaner, jeweils: "Jetz hämmer wider dä AHV-Uusfluug, meinsch eigetli, das chömmer ewig mache?!" Lupa lacht laut, als sie das erzählt. Aber sicher. In der Karwoche ist sowieso Diät angesagt. Im Café Schober sitzt Lupa täglich und opfert sich für die Hasen-Diät. Wie die aussieht? Zwei Zopf-Hasen pro Tag. Das kräftigt für den Aufstieg.
Wie lange wohnen sie schon hier? "26 Jahre", sagt Lupa. Und wie haben sie die Wohnung gefunden? "Über ein Inserat. Nimmt noch jemand Tee? Und den Käse da solltet ihr unbedingt probieren!" Es ist Käse vom Mittwochsmarkt im Zürcher Hauptbahnhof. Das hübsche Geschirr kommt aus Ungarn ("gekauft, als ich mal Geld hatte", sagt sie). Die mundgeblasenen Gläser sind aus Venedig. Jedes Mal, wenn Lupa dort ist, erwirbt sie ein Stück. Mehr als zwei Dutzend Gläser und Kelche aus Murano stehen auf einem Tablar. Alle werden sie gebraucht. "Das hat nichts mit Luxus zu tun oder mit Eitelkeit. Eitelkeit wäre, wenn ich mehr sein wollte, als ich bin. Ich suche die Schönheit und die Vollkommenheit. Das ist ein Weg. Bloss zur Dekoration würde ich nie etwas kaufen", sagt Lupa.
Die Wohnung ist dementsprechend leer. Wenige Möbel. Wenige Bilder. Und alle erzählen sie eine Geschichte. Ein Foto von Lupas Ahnen aus dem Onsernonetal. Ein alter Mann, ihm fehlen ein paar Finger. "Als der Friedhof wegen einer Rüfe rutschte, half er die Toten umzubetten. Dabei hat er sich Wundbrand geholt", erzählt Lupa. Am Kühlschrank zwei freche Zeichnungen von Sonja Rieser, die Lupas unglaublichen Hüte entwirft (stellen Sie sich zum Beispiel eine giftgelbe Sternfrucht aus Draht und Filz vor, die auf einem Stab auf einem giftgelben Fladen auf Lupas zündrotem Haar schwankt. Wer je an Lupas Seite durch die Gassen ging, weiss, wie viele Amalgamfüllungen durch die Stadt spazieren...). Ein Foto von ihr und Harry White, dem Saxofonisten, der Lupa musikalisch begleitet, als tanzten die Zwei umschlungen Tango. Bücher mit Ledereinbänden über handgeschöpftem Papier. Sie enthalten Briefe, Karten, Fotos, Artikel. Zumindest einige. "Ach", sagt Lupa, "i bin drüü Jahr hinedrii."
Die Vergänglichkeit der Zeit. 26 Jahre in der Wohnung an der Weinbergstrasse. Und Lupas 20. Programm. Eine Gesangsausbildung hat sie nicht. "Ich habe immer gesungen. Die Leute sagten an einem Essen: 'Chumm, sing doch eis!' Und so habe ich gesungen. Dann kamen Musiker zu mir und fragten: "Singst du mit uns?" Dann begannen Produktionen mit Musikern vom Konservatorium. Eigene Programme. Das Letzte hiess "Amor che nella mente mi ragiona" - die Liebe bewegt mein Denken. Ein zärtliches, musikalisch überzeugendes und bittersüsses Programm über Leidenschaft und Seelenpein. Und eine Würdigung ihrer toten Mutter. Drei Tage lang hielten Lupa und ihre Schwester Totenwache neben der verstorbenen Mutter. "Etwas Wichtigeres im Leben, etwas, das uns alle erwartet, gibt es nicht", sagt Lupa. "Es ist mir unbegreiflich, dass es kaum mehr Orte gibt, an denen wir unseren Toten einen letzten Besuch abstatten können. Ich habe während der Totenwache viel gelernt und begriffen, warum meine Mutter ihr Leben so und nicht anders gelebt hatte."
Ihr neues Programm dreht sich um Leidenschaft und Vergänglichkeit und beginnt mit einem Gedanken von Augustinus: "Wenn man mich fragt: 'Was ist die Zeit?' Dann weiss ich es nicht. Wenn man mich nicht fragt, dann weiss ich es."
Wir verabschieden uns. Manchmal ist es Zeit zu gehen. Auch wenn man nicht weiss, wie viel Uhr es ist.
Unterschiedliche Formen häuslicher Selbstverwirklichung vorzustellen, ist das Thema der Serie, welche die SonntagsZeitung wöchentlich publiziert. La Lupa, Sängerin und Zürcher Original mit Tessiner Wurzeln, lebt seit 26 Jahren in ihrer Vierzimmerwohnung in Zürich 6.
"Eine Mansarde in Oerlikon. Klein, aber hübsch. Drei Zimmer und eine Küche. Ich habe die ersten sieben Jahre in Zürich dort gewohnt."
"Wir haben ein sehr gutes Verhältnis. Sie reklamieren nicht, wenn ich übe. Sie sind tagsüber kaum da, also singe ich tagsüber."
"Ich hoffe, bis dahin so viel gelernt zu haben, dass ich die Unannehmlichkeiten des Alters annehmen und mich auf die guten Seiten konzentrieren und das Leben so geniessen kann, wie es ist, in seiner ganzen Schönheit."